Inszenierung von Volker Lösch nach Frank Wedekind
Gewagt! Im Dezember 2010 hatte in der Berliner Schaubühne Frank Löschs Arbeit „Lulu – Die Nuttenrepublik“ Premiere. In der Produktion verband der Autor Versatzstücke aus den Stücken von Frank Wedekinds „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ mit „Texten von Berliner Sexarbeiterinnen“. Auf der Bühne stehen echte Berliner Huren.
„Muschis aller Länder vereinigt euch!“ Das ist der Schlachtruf der Huren in Volker Lösch Inszenierung „Lulu die Nuttenrepublik“ Gezeigt wird der Klassiker von Frank Wedekind derzeit in der Berliner Schaubühne am Kurfürstendamm. Neben der Lulu, gespielt von Laura Tratnik, treten echte Nutten aus dem Rot- in das Rampenlicht und hinterlassen mit Sätzen wie „Nutte ist der beste Beruf den man so haben kann.“ / „...ist ja nur für kurze Zeit.“ / „Es ist ein Job wie jeder andere auch.“, Verwirrung im bürgerlichen Publikum. Das ist genau die Absicht von Volker Lösch, der schon mehrmals mit Laiendarstellern wie Hartz IV Empfängerinnen oder Ex-Knackies reüssierte. Von Frank Wedekinds Drama bleibt, außer ein paar Textpassagen, nicht viel übrig. Die gesamte Welt ist ein Bordell. Zwischenmenschliche Beziehungen werden vom Gesetz des freien Marktes entstellt.
Überzeugend wirken die Kostüme der Nutten. Die Kostümbildnerin Carola Reuther kleidete sie in lange dezente Kleider die durch Schatten die Brustwarzen und das Schamhaar andeuteten und die Frauen somit genau auf das Dreieck der männlichen Begierde reduzierten. Cary Gaylers (hübscher Name) Bühnenbild betonte durch eine Wand von ca. 1.000 Kopfkissen das Rotlichtmilieu. Das begehrte Lustobjekt, die Nutte Lulu, stirbt am Ende auf grausame Weise weil sie sich zwar bezahlen aber nicht kaufen lässt. Alles in allem keine leichte Unterhaltung.
Die Inszenierung von Volker Lösch ist ein gewagtes Experiment, das jedoch auf ganzer Linie überzeugt. Die Verbindung von Wedekinds Klassiker mit Texten echter Berliner Huren und der Einsatz dieser Frauen als Schauspielerinnen sorgt für eine ungewohnte Intensität und Authentizität auf der Bühne. Der Schlachtruf "Muschis aller Länder vereinigt euch!" zeigt dabei deutlich die Selbstbestimmung und Solidarität innerhalb des Rotlichtmilieus.
Doch nicht nur inhaltlich weiß die Produktion zu beeindrucken: Auch optisch setzt sie starke Akzente. Das minimalistische Bühnenbild aus Kopfkissen betont das Milieu, während die dezente Kleidung der Nutten durch ihre Andeutungen zugleich provoziert wie auch fasziniert.
Am Ende bleibt vom Drama Frank Wedekinds wenig übrig - doch genau darum geht es bei diesem Stück: Es stellt den Menschen als Ware dar, dessen zwischenmenschliche Beziehungen dem Gesetz des freien Marktes unterworfen sind. Ein harter Brocken also für das bürgerliche Publikum - aber gerade diese Provokation macht die Inszenierung so sehenswert!