Prostitution gegen Devisen
Am 1. Juli 1968 trat in der DDR § 249 („Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten“) des Strafgesetzbuches in Kraft, der die Prostitution verbot. Verstöße gegen dieses Verbot konnten mit Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren geahndet werden, bei bereits vorbestraften Personen sogar bis zu fünf Jahren.
Trotz dieser ideologischen Position entwickelte sich jedoch eine pragmatische Duldungspolitik. Die DDR-Führung erkannte den wirtschaftlichen und nachrichtendienstlichen Nutzen der Prostitution. Besonders wertvoll waren die harten Devisen - vor allem D-Mark und Dollar - die durch ausländische Kunden ins Land flossen. In einer Wirtschaft, die chronisch unter Devisenmangel litt, stellte dies eine nicht zu unterschätzende Einnahmequelle dar.
Gleichzeitig nutzte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die Prostitution systematisch für Spionagezwecke. Prostituierte wurden als inoffizielle Mitarbeiterinnen angeworben, um westliche Geschäftsleute, Diplomaten und Touristen auszuhorchen. Die intimen Begegnungen boten ideale Gelegenheiten, um an vertrauliche Informationen zu gelangen oder kompromittierendes Material für Erpressungen zu sammeln.
Dieses Überwachungssystem richtete sich nicht nur gegen Ausländer, sondern auch gegen die eigene Bevölkerung. In bestimmten Hotels und Nachtclubs, die vornehmlich von der Elite und Ausländern frequentiert wurden, dienten Prostituierte als Augen und Ohren des Staates.
Somit existierte in der DDR ein bemerkenswertes Spannungsfeld: Während die offizielle Doktrin die Prostitution als Überbleibsel des Kapitalismus verdammte, nutzte der Staat sie gleichzeitig als wirtschaftliche und nachrichtendienstliche Ressource - ein Paradoxon, das exemplarisch für die Widersprüche zwischen sozialistischer Theorie und Praxis stand.
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Quelle: ZDF Mediathek
Prostitution in der DDR: Zwischen Verbot und staatlicher Instrumentalisierung
Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) präsentierte sich nach außen als moralisch überlegene sozialistische Gesellschaft, in der kapitalistische Laster wie die Prostitution keinen Platz hatten. Offiziell existierte das "älteste Gewerbe der Welt" nicht im Arbeiter- und Bauernstaat - es war per Gesetz verboten und galt als Überbleibsel der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, das im Sozialismus überwunden sei. Die Realität sah jedoch anders aus: Hinter der Fassade des moralischen sozialistischen Staates wurde Prostitution nicht nur geduldet, sondern in bestimmten Fällen vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS), besser bekannt als die Stasi, gezielt gefördert und instrumentalisiert.
Dieser Artikel beleuchtet das komplexe Verhältnis des DDR-Regimes zur Prostitution. Er analysiert, wie die Stasi sogenannte "Romeos" und als weibliches Pendant "Swallows" einsetzte, um ausländische Besucher auszuspionieren, und wie kommerzielle sexuelle Dienstleistungen trotz offiziellen Verbots in verschiedenen Formen existierten. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei dem Spannungsfeld zwischen der sozialistischen Ideologie, die Prostitution als kapitalistisches Übel brandmarkte, und der pragmatischen Nutzung sexueller Kontakte für nachrichtendienstliche Zwecke.
Die offizielle Haltung: Prostitution als "überwundenes kapitalistisches Relikt"
Die Stasi organisierte ihre sexuelle Spionage systematisch. Die sogenannte "F-Linie" (F stand für Freundschaft oder Frauen) war ein spezielles Netzwerk weiblicher IMs, die für die Kontaktanbahnung mit ausländischen Zielpersonen zuständig waren. Diese Frauen wurden sorgfältig ausgewählt, geschult und oft mit legendierten Identitäten ausgestattet.
In der marxistisch-leninistischen Ideologie, auf der die DDR gründete, wurde Prostitution als direktes Ergebnis kapitalistischer Ausbeutung betrachtet. Friedrich Engels hatte in seiner Schrift "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" (1884) dargelegt, dass die Prostitution eine direkte Folge der ökonomischen Ungleichheit sei, die der Kapitalismus hervorbringt. Folglich musste die Prostitution in einer sozialistischen Gesellschaft, in der alle Bürger Anspruch auf Arbeit und soziale Absicherung hatten, theoretisch verschwinden.
Diese ideologische Überzeugung spiegelte sich im DDR-Strafgesetzbuch wider. Paragraf 249, der sogenannte "Asozialen-Paragraf", stellte "asoziales Verhalten" unter Strafe, wozu auch die "Prostitution" gezählt wurde. Prostitution selbst war im Strafgesetzbuch der DDR unter den Paragrafen 123 bis 125 erfasst. Der Paragraf 123 stellte "Ausbeutung von Prostituierten" unter Strafe, was prinzipiell Zuhälterei meinte, während Paragraf 124 das "Unterhalten intimer Beziehungen zu Personen, die der Prostitution nachgehen" bestrafte. Paragraf 125 verbot den "Mißbrauch einer abhängigen Person zu sexuellen Handlungen", was sich auch auf Prostitution beziehen konnte.
Die SED-Führung proklamierte stolz, dass es in der DDR keine wirtschaftliche Notwendigkeit für Frauen gebe, ihren Körper zu verkaufen. Durch die garantierte Vollbeschäftigung, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und umfassende Kinderbetreuung sollten Frauen wirtschaftlich unabhängig sein. In offiziellen Verlautbarungen hieß es regelmäßig, dass Prostitution in der DDR ausgerottet sei und nur noch als Randphänomen existiere, das hauptsächlich von "asozialen Elementen" und "Feinden des Sozialismus" praktiziert werde.
Die Realität: Existenz trotz Verbot
Trotz des offiziellen Verbots und der ideologischen Verurteilung existierte Prostitution in der DDR in verschiedenen Formen. Historiker und Zeitzeugen haben mittlerweile ein differenzierteres Bild der tatsächlichen Verhältnisse gezeichnet, das von der offiziellen Version deutlich abweicht.
Soziale und wirtschaftliche Hintergründe
Die wirtschaftlichen Bedingungen in der DDR waren trotz staatlicher Vollbeschäftigungsgarantie nicht so rosig, wie es die Propaganda behauptete. Viele Frauen arbeiteten in schlecht bezahlten Berufen, und alleinerziehende Mütter hatten oft Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen. Der chronische Mangel an Konsumgütern und der beschränkte Zugang zu Westprodukten schufen Anreize für alternative Einkommensquellen.
Für einige Frauen bot die Prostitution eine Möglichkeit, an Westgeld zu gelangen, das im inoffiziellen Tauschhandel einen vielfach höheren Wert hatte als die Ostmark. Der Besitz von D-Mark eröffnete Zugang zu besonderen Geschäften ("Intershops"), in denen begehrte Westprodukte angeboten wurden. Ein weiterer Anreiz war die Möglichkeit, durch Kontakte mit westlichen Besuchern an seltene Konsumgüter wie Kleidung, Kosmetika oder Elektronik zu kommen.
Formen der Prostitution in der DDR
Die Prostitution in der DDR nahm verschiedene Formen an:
Hotelprostitution:
In den internationalen Hotels der größeren Städte, besonders in Ost-Berlin, Leipzig und Dresden, boten Frauen ausländischen Gästen sexuelle Dienstleistungen an. Dies geschah häufig mit stillschweigender Duldung der Hotelleitung und unter Beobachtung der Staatssicherheit. Hotels wie das "Interhotel Unter den Linden" oder das "Hotel Metropol" in Berlin waren bekannte Treffpunkte.
Straßenprostitution:
Trotz des höheren Risikos existierte auch Straßenprostitution, besonders in den Grenzgebieten und in Ost-Berlin. Die Hauptstraße in Berlin-Karlshorst, wo viele sowjetische Offiziere stationiert waren, war beispielsweise für ihre Straßenprostitution bekannt.
Appartementprostitution:
Einige Frauen empfingen Kunden in Privatwohnungen, oft unter dem Vorwand eines "Besuchs" oder einer "Bekanntschaft".
Gelegenheitsprostitution:
Viele Frauen betrieben keine hauptberufliche Prostitution, sondern boten gelegentlich sexuelle Dienste gegen Westgeld oder Waren an, beispielsweise in Gaststätten, bei Tanzveranstaltungen oder in Diskotheken.
Grenzprostitution:
In grenznahen Gebieten kam es zu Prostitution im Zusammenhang mit dem Grenzverkehr. Besonders an der Grenze zur Bundesrepublik und in Berlin entwickelte sich eine spezifische Form der Prostitution für Westbesucher.
Überwachung und Kontrolle
Die Volkspolizei und die Staatssicherheit überwachten potenzielle Prostitutionsmilieus intensiv. Frauen, die verdächtigt wurden, der Prostitution nachzugehen, wurden oft vorgeladen, verhört und mit Geldstrafen oder sogar Haftstrafen bedroht. In vielen Fällen wurden sie gezwungen, sich regelmäßigen gesundheitlichen Untersuchungen zu unterziehen, um die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten zu verhindern.
Die Bekämpfung der Prostitution erfolgte jedoch selektiv und pragmatisch. Während einige Prostituierte strafrechtlich verfolgt wurden, duldeten die Behörden andere oder nutzten sie sogar für ihre Zwecke. Diese Doppelmoral ist ein charakteristisches Merkmal des DDR-Umgangs mit der Prostitution.
Die Stasi und die Instrumentalisierung der Prostitution
Das komplexeste und brisanteste Kapitel der DDR-Prostitutionsgeschichte betrifft die gezielte Instrumentalisierung durch das Ministerium für Staatssicherheit. Die Stasi setzte Sexualität als Mittel der Spionage und Kontrolle ein, sowohl gegen ausländische Besucher als auch gegen die eigene Bevölkerung.
"Romeo"-Agenten und "Swallows"
Eine bekannte Methode der Stasi war der Einsatz sogenannter "Romeo"-Agenten. Hierbei handelte es sich um männliche Agenten, die gezielt Liebesbeziehungen zu Frauen aufbauten, die in westlichen diplomatischen oder militärischen Einrichtungen arbeiteten, um an geheime Informationen zu gelangen. Das Gegenstück dazu waren weibliche "Swallow"-Agentinnen (Schwalben), die ähnliche Aufgaben übernahmen.
"Swallows" hatten die Aufgabe, Bekanntschaften zu westlichen Männern, in Positionen mit Zugang zu sensiblen Informationen, zu suchen und zu verführen. Sie wurden vorwiegend in Hotels, Bars und Nachtclubs eingesetzt. Diese Praktik war nicht nur bei der Stasi, sondern auch beim KGB und anderen Geheimdiensten des Ostblocks verbreitet. Die "Swallows" wurden speziell ausgebildet, um ihre Zielpersonen zu manipulieren und langfristig auszunutzen, oft durch Aufbau von romantischen oder sexuellen Beziehungen.
"F-Linien" und "Star-Operationen"
Das Ministerium für Staatssicherheit organisierte seine sexuelle Spionage systematisch. Die sogenannte "F-Linie" (F stand für Feindverbindungen) war ein spezielles Netzwerk weiblicher Agentinnen, die für die Kontaktanbahnung mit ausländischen Zielpersonen zuständig waren. Also Kontakte zu Personen oder Institutionen in westlichen, als feindlich eingestuften, Ländern. Diese Verbindungen wurden systematisch entwickelt und gepflegt, um Informationen zu gewinnen oder Einfluss auszuüben. Passende Frauen wurden sorgfältig ausgewählt, geschult und oft mit legendierten Identitäten ausgestattet.
Die "Star-Operationen" (manchmal auch als "Star-Cases" bezeichnet) waren spezifische, hochrangige Spionageoperationen, bei denen attraktive weibliche IMs auf bestimmte hochrangige Zielpersonen, wie westliche Politiker, Diplomaten oder militärisches Personal, angesetzt wurden. Diese Operationen wurden penibel geplant und oft mithilfe von Psychologen und Verhaltensexperten vorbereitet. Die Frauen wurden instruiert, wie sie sich kleiden, sprechen und verhalten sollten, um das Interesse der Zielperson zu wecken.
Ausländische Zielpersonen
Die nachrichtendienstliche Prostitution richtete sich vor allem gegen:
Westdeutsche Geschäftsleute und Journalisten:
Sie waren häufige Besucher in der DDR und hatten oft Zugang zu wirtschaftlichen oder politischen Informationen.
Diplomaten:
Westliche Diplomaten, die in der DDR akkreditiert waren, wurden intensiv überwacht und waren bevorzugte Ziele für Kompromittierungsversuche.
Militärangehörige:
Besonders Offiziere der westlichen Alliierten in Berlin standen im Fokus der Stasi-Operationen.
Technische Experten:
Wissenschaftler und Ingenieure, die zur Wirtschafts- oder Technologiekooperation in die DDR reisten, wurden ebenfalls ins Visier genommen.
Methoden und Ziele
Die Stasi verfolgte mit dem Einsatz sexueller Kontakte mehrere Ziele:
Informationsgewinnung:
Primäres Ziel war es, sensible politische, militärische oder wirtschaftliche Informationen zu erhalten. Die IMs sollten ihre Kontakte aushorchen und alle relevanten Details an ihre Führungsoffiziere weitergeben.
Kompromittierung:
Die sexuellen Kontakte wurden oft heimlich fotografiert oder gefilmt, um belastendes Material zu sammeln. Diese "Kompromittierung" konnte später zur Erpressung genutzt werden, um die betroffenen Personen zur Zusammenarbeit zu zwingen.
Einflussnahme:
In einigen Fällen sollten die IMs ihre Kontakte im Sinne der DDR-Interessen beeinflussen, etwa um bestimmte Geschäftsentscheidungen zu fördern oder politische Einstellungen zu verändern.
Die Frauen, die für diese Zwecke eingesetzt wurden, erhielten unterschiedliche Vergünstigungen. Manche bekamen Westgeld, andere erhielten besondere Einkaufsmöglichkeiten oder Reiseprivilegien. Einige wurden auch mit Wohnungen oder Karrierechancen belohnt. In manchen Fällen wurden Frauen jedoch auch durch Drohungen oder Erpressung zur Mitarbeit gezwungen, etwa wenn sie bei illegalen Aktivitäten ertappt worden waren.
Bekannte Fälle und Enthüllungen
Nach dem Fall der Mauer und der Öffnung der Stasi-Archive kamen zahlreiche Fälle ans Licht, die die systematische Nutzung sexueller Kontakte für Spionagezwecke belegen:
Der Fall Gabriele Gast:
Frau Gast war eine westdeutsche Analystin im Bundesnachrichtendienst (BND), die durch eine Liebesbeziehung zu einem Stasi-Offizier rekrutiert wurde und jahrelang geheime Informationen an die DDR weitergab.
Der Fall Dagmar Kahlig-Scheffler:
Als Sekretärin im Kanzleramt wurde sie von einem "Romeo"-Agenten umworben und verriet Dokumente aus dem innersten Machtzirkel der Bundesrepublik.
Das "Projekt Rosenholz":
Eine umfangreiche Sammlung von Stasi-Akten, die nach der Wende in die Hände der CIA gelangte und zahlreiche Fälle von sexueller Spionage dokumentierte.
Die "F-Akten":
Nach der Wiedervereinigung entdeckte Dokumente, die die systematische Anwerbung und den Einsatz weiblicher IMs für sexuelle Kontakte mit westlichen Zielpersonen belegen.
Die doppelte Moral: Ideologie versus Pragmatismus
Die Instrumentalisierung der Prostitution durch die Stasi offenbart die tiefe Doppelmoral des DDR-Regimes. Während die offizielle Ideologie Prostitution als "kapitalistische Perversion" verurteilte und das sozialistische System als moralisch überlegen darstellte, nutzte der Staat gleichzeitig sexuelle Dienstleistungen für seine eigenen Zwecke.
Diese Diskrepanz zwischen Rhetorik und Praxis war charakteristisch für viele Bereiche des DDR-Systems, aber im Fall der Prostitution besonders ausgeprägt. Die Stasi-Führung rechtfertigte den Einsatz von IMs für sexuelle Kontakte als notwendiges Mittel im "Klassenkampf" gegen den Westen. Die ideologischen Bedenken wurden dem pragmatischen Nutzen untergeordnet.
Zynische Rechtfertigung
Die interne Rechtfertigung für den Einsatz sexueller Mittel in der Spionage folgte einer zynischen Logik: Da der Westen ohnehin moralisch verkommen sei, sei es legitim, diese Schwäche auszunutzen. Die Frauen, die für solche Operationen eingesetzt wurden, galten als "Kämpferinnen an der unsichtbaren Front" des Kalten Krieges, nicht als Prostituierte im herkömmlichen Sinne.
In den internen Schulungsunterlagen der Stasi wurde der Einsatz sexueller Mittel euphemistisch als "Schaffung günstiger operativer Voraussetzungen durch persönliche Beziehungen" bezeichnet. Die moralische Problematik wurde durch ideologische Floskeln überdeckt, indem solche Maßnahmen als notwendig für den "Schutz des Friedens" und die "Sicherung der sozialistischen Errungenschaften" dargestellt wurden.
Doppelte Opfer
Die für solche Zwecke eingesetzten Frauen befanden sich in einer besonders problematischen Situation. Einerseits wurden sie vom Staat instrumentalisiert und mussten intime Beziehungen im Dienste der Staatssicherheit eingehen. Andererseits wurden sie nicht als Prostituierte anerkannt oder geschützt, sondern mussten ihre Tätigkeit im Verborgenen ausüben. Sie waren somit doppelte Opfer: des staatlichen Missbrauchs und der gesellschaftlichen Stigmatisierung.
Nach dem Ende der DDR wurde diese Doppelmoral offengelegt, und viele der betroffenen Frauen mussten mit den psychologischen Folgen ihrer Tätigkeit für die Stasi leben. Einige fühlten sich betrogen, andere schämten sich für ihre Verstrickung in das System. Nur wenige wagten es, öffentlich über ihre Erfahrungen zu sprechen, was die historische Aufarbeitung dieses Aspekts der DDR-Geschichte erschwert.
Prostitution im Alltag der DDR
Neben der staatlich instrumentalisierten Prostitution existierte auch eine "gewöhnliche" kommerzielle Prostitution, die trotz Verbots in verschiedenen Formen fortbestand.
Treffpunkte und Milieus
In den Großstädten der DDR, vor allem in Ost-Berlin, Leipzig und Rostock, gab es bekannte Treffpunkte für Prostitution:
Interhotels:
Diese speziell für ausländische Gäste reservierten Hotels wurden zu Zentren der gehobenen Prostitution. Das "Interhotel Unter den Linden", das "Hotel Metropol" und das "Hotel Merkur" in Leipzig waren berüchtigte Orte.
Bahnhofsviertel:
Wie in westlichen Städten waren die Gegenden um Hauptbahnhöfe Treffpunkte für Prostituierte und ihre Kunden. Besonders der Bereich um den Alexanderplatz und den Ostbahnhof in Berlin war dafür bekannt.
Bestimmte Bars und Restaurants:
Einige gastronomische Einrichtungen, besonders solche mit Ausländerlizenz, wurden zu inoffiziellen Kontaktbörsen. Die "Mokka-Milch-Eisbar" am Alexanderplatz oder die "Internationale" in Dresden waren beispielsweise als Treffpunkte bekannt.
Campingplätze:
Besonders in den Sommermonaten waren Campingplätze an der Ostsee, die von westlichen Touristen frequentiert wurden, Orte für prostitutive Kontakte.
Preise und Kunden
Die Bezahlung erfolgte meist in Westgeld (D-Mark) oder in Form von Sachleistungen wie Kleidung, Kosmetik oder elektronischen Geräten. Die Preise variierten stark: In den gehobenen Interhotels konnten sexuelle Dienstleistungen zwischen 50 und 200 D-Mark kosten, während auf der Straße oder in einfacheren Etablissements die Preise deutlich niedriger waren.
Die Hauptkundschaft bestand aus:
Westdeutschen und anderen westlichen Besuchern:
Sie waren aufgrund ihrer D-Mark besonders begehrt und zahlten in der Regel höhere Preise.
Diplomaten und ausländischen Geschäftsleuten:
Besonders Vertreter aus "Bruderländern" wie der Sowjetunion, Polen oder Ungarn zählten zur Kundschaft.
DDR-Bürgern mit Zugang zu Westgeld:
Einige DDR-Bürger, die legal oder illegal an Westgeld gekommen waren, nutzten ebenfalls die Dienste von Prostituierten.
Gesundheitliche Aspekte und Kontrolle
Ein wesentlicher Unterschied zur Prostitution in westlichen Ländern war die strenge gesundheitliche Überwachung. Die DDR hatte ein gut ausgebautes System der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten, das auch auf Personen angewandt wurde, die der Prostitution verdächtigt wurden. Frauen, die bei entsprechenden Aktivitäten gefasst wurden, mussten sich oft zwangsweise regelmäßigen Untersuchungen unterziehen.
Die "Beratungsstellen für Geschlechtskrankheiten" der Gesundheitsämter führten eine sogenannte "Dispensaire-Überwachung" durch, bei der Personen mit häufig wechselnden Sexualpartnern registriert und regelmäßig untersucht wurden. Diese Kontrolle hatte einerseits einen legitimen gesundheitspolitischen Zweck, diente andererseits aber auch der sozialen Kontrolle und Überwachung.
Die Volkspolizei führte regelmäßige Razzien in bekannten Prostitutionsmilieus durch. Frauen, die mehrfach aufgegriffen wurden, konnten nach dem "Asozialen-Paragrafen" zu Haftstrafen verurteilt werden. In einigen Fällen wurden sie auch zur "Umerziehung" in Arbeitslager eingewiesen.
Die "Devisen-Beschaffung": Wirtschaftliche Aspekte
Ein besonders zynischer Aspekt der DDR-Prostitution war die stillschweigende Duldung als Mittel der Devisenbeschaffung. Die chronisch devisenschwache DDR-Wirtschaft war auf Einnahmen in Westgeld angewiesen, und die Prostitution stellte eine inoffizielle, aber effektive Quelle solcher Einnahmen dar.
Staatsdevisen durch die Hintertür
Die in den Interhotels tätige Prostitution brachte dem Staat indirekt Westgeld ein. Die Hotels, die unter staatlicher Kontrolle standen, profitierten von den längeren Aufenthalten westlicher Gäste und deren erhöhtem Konsum. Die Prostituierten wiederum gaben einen Teil ihrer Einnahmen in Westgeld in den staatlichen "Intershops" aus, was dem Staat direkte Deviseneinnahmen verschaffte.
Es gibt Hinweise darauf, dass die Sicherheitsorgane in bestimmten Fällen ein Auge zudrückten, wenn die Prostitution zu Deviseneinnahmen führte. Einige Historikerinnen und Historiker sprechen von einer "informellen Devisenbeschaffungspolitik", bei der die ideologischen Prinzipien pragmatischen wirtschaftlichen Interessen untergeordnet wurden.
Besondere "Dienstleistungen" bei Messen und Großveranstaltungen
Bei internationalen Messen wie der Leipziger Messe oder politischen Großveranstaltungen mit internationaler Beteiligung wurde die Prostitution besonders toleriert. Hier ging es nicht nur um nachrichtendienstliche Interessen, sondern auch um die "Betreuung" ausländischer Gäste und die indirekte Förderung von Geschäftsabschlüssen.
Die Stasi und die Volkspolizei wussten genau, welche Hotels und Bars als Kontaktbörsen dienten, griffen aber selten ein. Stattdessen wurden diese Orte intensiv überwacht, um politisch relevante Informationen zu sammeln und sicherzustellen, dass keine "staatsfeindlichen" Aktivitäten stattfanden.
Prostitution und die DDR-Gesellschaft
Das Thema Prostitution war in der DDR-Gesellschaft mit einem starken Tabu belegt. Die offizielle Leugnung ihrer Existenz führte dazu, dass kaum offen darüber gesprochen wurde. In den Medien, der Literatur oder im Film kam das Thema praktisch nicht vor, es sei denn als "Phänomen des Kapitalismus".
Gesellschaftliche Wahrnehmung und Stigmatisierung
Trotz der offiziellen Tabuisierung war die Existenz von Prostitution in der Bevölkerung durchaus bekannt. Die gesellschaftliche Einstellung dazu war ambivalent: Einerseits wurden Prostituierte stark stigmatisiert und als "asoziale Elemente" betrachtet, andererseits gab es ein gewisses Verständnis für die wirtschaftlichen Motive.
Frauen, die der Prostitution nachgingen, wurden oft gesellschaftlich ausgegrenzt. Sie riskierten nicht nur strafrechtliche Verfolgung, sondern auch den Verlust ihres Arbeitsplatzes, ihrer Wohnung und ihres sozialen Ansehens. Die starke soziale Kontrolle in der DDR, wo Nachbarn, Kollegen und oft auch Familienangehörige als inoffizielle Informanten dienten, erschwerte ein Doppelleben als Prostituierte erheblich.
Prostitution in der DDR-Kultur
Obwohl die Prostitution in der offiziellen Kultur nicht thematisiert wurde, gab es einige wenige künstlerische Werke, die das Thema zumindest andeuteten. Der DEFA-Film "Die Legende von Paul und Paula" (1973) von Heiner Carow enthält beispielsweise Szenen, die auf Prostitution anspielen, ohne sie direkt zu benennen. In der Literatur gab es vereinzelte Versuche, das Thema zu behandeln, wie etwa in Christoph Heins "Der fremde Freund" (1982), die jedoch oft der Zensur zum Opfer fielen.
Nach dem Fall der Mauer wurde das Thema in verschiedenen dokumentarischen und künstlerischen Werken aufgearbeitet, etwa in dem Dokumentarfilm "Die Stasi im Kinderzimmer" (2007), der auch auf die sexuelle Ausbeutung von Frauen durch die Staatssicherheit eingeht, oder in dem Roman "Magdalena" (2005) von Jürgen Fuchs, der die Geschichte einer für die Stasi arbeitenden Prostituierten erzählt.
Die Wende und ihre Folgen
Mit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung änderte sich die Situation der Prostitution in der ehemaligen DDR grundlegend. Die zuvor illegale oder halblegale Tätigkeit wurde nun nach westdeutschem Recht behandelt, das Prostitution grundsätzlich erlaubte.
Transformation des Milieus
Nach der Wende erlebten die neuen Bundesländer einen raschen Wandel des Prostitutionsmilieus. Westdeutsche Bordellbetreiber expandierten nach Osten, und es etablierten sich schnell kommerzielle Strukturen nach westlichem Vorbild. In vielen Städten entstanden Bordelle, Saunaclubs und Escort-Services, die es in dieser Form in der DDR nicht gegeben hatte.
Gleichzeitig kam es zu einem Zustrom von Prostituierten aus osteuropäischen Ländern, besonders aus Polen, Tschechien, der Ukraine und Russland. Die wirtschaftlichen Umbrüche und die neu gewonnene Reisefreiheit führten zu einer Internationalisierung der Prostitution in den neuen Bundesländern.
Schicksale ehemaliger Stasi-IMs
Die Frauen, die als IMs für die Stasi gearbeitet hatten, standen nach der Wende vor besonderen Herausforderungen. Viele fürchteten die Enttarnung und die damit verbundene soziale Ächtung. Einige verließen die Region oder änderten ihre Identität. Andere mussten sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, als ihre Tätigkeit durch die Öffnung der Stasi-Akten bekannt wurde.
Die juristische Aufarbeitung dieser Fälle erwies sich als schwierig. Während einige hochrangige Stasi-Offiziere für den Einsatz sexueller Mittel in der Spionage zur Verantwortung gezogen wurden, blieben die meisten der betroffenen Frauen unbehelligt. Ihre Rolle wurde oft als die von Opfern oder bestenfalls von Mitläuferinnen des Systems betrachtet.
Historische Aufarbeitung und Forschung
Die wissenschaftliche Erforschung der Prostitution in der DDR begann erst nach der Wiedervereinigung. Historiker, Soziologen und Geschlechterforscher begannen, das Thema zu untersuchen und in den größeren Kontext der DDR-Geschichte einzuordnen.
Quellenlage und Forschungsstand
Die Erforschung der DDR-Prostitution stützt sich auf verschiedene Quellentypen:
Stasi-Akten:
Die geöffneten Archive des Ministeriums für Staatssicherheit enthalten zahlreiche Dokumente über den nachrichtendienstlichen Einsatz sexueller Kontakte, darunter Einsatzpläne, Berichte und Fotos.
Polizeiakten
Die Akten der Volkspolizei dokumentieren die strafrechtliche Verfolgung von Prostitution und bieten Einblick in die offiziellen Maßnahmen gegen das "älteste Gewerbe".
Gesundheitsakten:
Die Unterlagen der "Beratungsstellen für Geschlechtskrankheiten" enthalten Informationen über die gesundheitliche Überwachung von Personen, die der Prostitution verdächtigt wurden.
Zeitzeugenberichte:
Interviews mit ehemaligen Prostituierten, Stasi-Mitarbeitern und anderen Beteiligten ergänzen das Bild.
Die Forschung zu diesem Thema bleibt jedoch lückenhaft. Viele Betroffene sind nicht bereit, über ihre Erfahrungen zu sprechen, und manche Dokumente wurden vernichtet oder sind aus Datenschutzgründen nicht zugänglich. Zudem ist das Thema nach wie vor mit Tabus und moralischen Urteilen belastet, was eine objektive Aufarbeitung erschwert.
Der Berliner Journalist Rolf Kremming hat 2022 das Buch "Von Straßenstrich bis Honigfalle" Wahre Geschichten über Prostitution in der DDR veröffentlicht.
Hier gibt es eine Diskussionsrunde zum Thema Prostitution.